Für Fachkräfte
Internetnutzung – Chancen und Risiken
Laut dem Statistischen Bundesamt nutzen rund 90 Prozent der deutschen Bevölkerung ab einem Alter von zehn Jahren das Internet (DESTATIS 2020, Erhebung über die private Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien). Seine Attraktivität erhält es durch die Bereitstellung zahlreicher Informations- und Unterhaltungsangebote, u.a. zum Ansehen von Videos, Musikhören, Spielen von Computerspielen, Onlineshopping sowie zur Informationssuche. Einen besonderen Stellenwert hat dabei die Kommunikation im Internet. Für die Internetnutzung werden verschiedene Endgeräte verwendet. Laut einer Studie von Borth (Drogenaffinitätsstudie 2015, Teilband Computerspiele und Internet) gehen junge Menschen im Alter von zwölf bis 25 Jahre für private Zwecke vor allem mit dem Smartphone ins Internet. Weiter nutzen sie Laptops bzw. Notebooks, stationäre PCs und Tablet-PCs. Insgesamt verbringen sie dabei wöchentlich über 20 Stunden (12- bis 17-Jährige: 22 Stunden; 18- bis 25-Jährige: 21 Stunden) im Internet oder mit Computerspielen. Besonders im Alter von 16 und 17 Jahren wird mit 26,8 Stunden pro Woche viel Zeit für das Internet und für Computerspiele investiert.
Die extensive Nutzung des Internets kann zur Entwicklung einer Internetbezogenen Stö-rung führen. Andere Begriffe, die in diesem Kontext häufig verwendet werden, sind bei-spielsweise Internetabhängigkeit oder Internetsucht, pathologische Internetnutzung, Medienabhängigkeit sowie missbräuchlicher Internetgebrauch. Dabei geht es immer um die übermäßige Nutzung bestimmter Internetinhalte, die sich weitgehend der bewussten Kontrolle entzieht und die für die Anwenderinnen und Anwender immer wieder schädliche Folgen hat bzw. bereits Funktionsbeeinträchtigungen nach sich zieht. Das Spektrum reicht dabei von riskanten Nutzungsweisen als Vorformen einer ausgeprägten Störung über eine fortgesetzte schädliche oder missbräuchliche Nutzung mit ersten negativen Konsequenzen für die Anwenderinnen und Anwender bis hin zur suchthaften Nutzung von Internetanwendungen.
Meist beziehen sich Internetbezogene Störungen auf einzelne Onlineaktivitäten wie z. B. die Nutzung von Onlinecomputerspielen, Onlineeinkaufsportalen oder sozialen Netzwer-ken, wobei häufig auch Computerspiele, die offline gespielt werden, mitberücksichtigt werden. Das Suchtpotenzial der unterschiedlichen Aktivitäten scheint zu variieren. Hier bedarf es allerdings weiterer Forschung, um suchtfördernde Merkmale einzelner Anwendungen zu identifizieren. Häufig werden in diesem Kontext z. B. die Möglichkeit, sich eine andere Identität bzw. Rolle zu schaffen, ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer virtuellen Gemeinschaft und der soziale Druck, an dieser zu partizipieren, genannt.
In Anlehnung an die im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-5) aufgenommene Internet Gaming Disorder (Störung durch das Spielen von Internetspielen) deuten folgende Merkmale auf eine Internetbezogene Störung hin:
- die exzessive Nutzung des Internets und die Eingenommenheit vom spezifischen Internetinhalt
- Toleranzentwicklung, die mit einer gesteigerten Nutzung einhergeht
- Kontrollverlust über die Nutzung des Internets oder einzelner Anwendungen
- Entzugssymptome im Sinne von Empfindungen wie z. B. Frustration, Gereiztheit, Nervosität oder Verzweiflung
- Vernachlässigung wichtiger Beziehungen
- Verlust von Interesse an zuvor bedeutsamen Lebensbereichen und Aktivitäten
- Fortführung der Nutzung trotz negativer Konsequenzen im Alltag
- Verdrängung negativer Emotionen
- Verschleierung, wie viel Zeit für die spezifische Aktivität aufgewandt wird
- Täuschen von Angehörigen bezüglich des Umfanges der Internetaktivitäten
Diese Merkmale verdeutlichen, dass die Grenze zwischen problematischem und unprob-lematischem Internetgebrauch schwer identifizierbar und nicht allein an der im Internet verbrachten Zeit zu bestimmen ist. Nicht jede Person, bei der eine Internetbezogene Stö-rung vorliegt, weist jedes einzelne der hier dargestellten Merkmale auf. Entscheidend ist, ob gesundheitliche, soziale, emotionale oder leistungsbezogene Probleme vorliegen.
Ähnlich wie bei Abhängigkeitserkrankungen spielen verschiedene Faktoren bei der Entstehung einer Internetbezogenen Störung eine Rolle. Verschiedene Eigenschaften von Onlineaktivitäten begünstigen die Entwicklung einer Internetbezogenen Störung. Dazu gehören z. B. die ständige Verfügbarkeit und ortsungebundene Zugänglichkeit, die Vielfalt an Angeboten, die relative Anonymität und nicht zuletzt die Bindungsfaktoren von speziellen Computerspielen.
Auch individuelle Risikofaktoren sowie soziale Faktoren können die Entwicklung einer Internetbezogenen Störung fördern.
Hinsichtlich der individuellen Risikofaktoren und Persönlichkeitsmerkmale werden unter anderem eine pessimistische Einstellung, Ängstlichkeit, emotionale Labilität sowie eine gesteigerte Tendenz, Situationen als überfordernd und stressig einzustufen, genannt. Andere Internetbezogene Störungen fördernde Persönlichkeitsmerkale, sind z. B. mangelnde Gewissenhaftigkeit im Sinne von Nachlässigkeit, reduzierter Zielstrebigkeit und Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation oder aber auch Schwierigkeiten bzw. Unsicherheiten in der sozialen Interaktion.
Zu den sozialen Faktoren, die die Entwicklung einer Internetbezogenen Störung begünstigen können, zählen eine geringe soziale und familiäre Einbindung, Isolation, Einsamkeit sowie die Mediensozialisation. Die Mediensozialisation bezieht sich dabei auf die persönlichen und sozialen Lern- und Entwicklungsprozesse eines Menschen, die sich aus der aktiven Auseinandersetzung mit einer von Medien geprägten Lebenswelt ergeben.
Festzuhalten ist, dass die Entwicklung einer Internetbezogenen Störung meist ein hoch-komplexer Prozess und multifaktoriell bedingt ist.
Die derzeitige Studienlage (z. B. Prävalenz der Internetabhängigkeit – Diagnostik und Risikoprofile PINTA-DIARI 2013) gibt Hinweise darauf, dass bei Menschen mit einer Internetbezogenen Störung ein erhöhtes Belastungsniveau vorliegt und häufig auch andere psychische Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen, Merkmale von Impulsivität oder auch Aufmerksamkeitsstörungen als komorbide Störungen vorliegen. Depressionen, Angststörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und der Substanzmissbrauch z. B. von Alkohol, Nikotin oder Cannabis werden in diesem Kontext genannt.
Laut der Studie „Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2015 – Teilband Computerspiele und Internet“ sind 5,8 % der 12- bis 17-Jährigen und 2,8 % der jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren von einer Computerspiel- oder Inter-netbezogenen Störung betroffen. Mädchen in der Altersgruppe der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen sind mit 7,1 % im Vergleich zu 4,5 % stärker als Jungen betroffen. Mit Blick auf die problematische Computerspiel- und Internetnutzung sind bei den Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren 22,4 % gefährdet, bei den 18- bis 25-Jährigen liegt dieser Anteil bei 14,9 % (keine signifikanten Geschlechtsunterschiede). Internetbezogene Störungen kommen demnach in den jüngeren Altersgruppen häufiger vor als bei älteren Menschen. Dies berichtet beispielsweise die Studie „Prävalenz der Internetabhängigkeit (PINTA)“, die eine Häufigkeit von etwa einem Prozent in der Altersgruppe der 14- bis 64-Jährigen ermittelte. Bei den jüngeren Menschen zwischen 14 und 24 Jahren liegt hier der Anteil an Internetbezogenen Störungen mit 2,4 % deutlich höher und bei den 14- bis 16-jährigen Jugendlichen wird die Prävalenz in dieser Studie sogar auf 4,0 % geschätzt.
Hinsichtlich des Zeitverlaufs kommt die Drogenaffinitätsstudie zu dem Ergebnis, dass es zwischen 2011 und 2015 einen signifikanten Anstieg an Computerspiel- und Internetbezogenen Störungen bei Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren gab. Von der problematischen Nutzung von Computerspielen und Internet, bei der noch keine ausgeprägte Störung vorliegt, sind 2015 sowohl die 12- bis 17-jährigen Jugendlichen als auch die 18- bis 25-Jährigen statistisch signifikant häufiger betroffen als noch im Jahr 2011. Auch im Bereich der unproblematischen Nutzung nahmen die Probleme durch Computerspiele und Internet zu.
Die Studien ermitteln aufgrund unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen bislang voneinander abweichende Prävalenzen. Um Untersuchungsergebnisse künftig besser systematisieren und so das Ausmaß an Internetbezogenen Störungen besser einschätzen zu können, bedarf es weiterer definitorischer Spezifizierungen der Internetbezogenen Störung.
Die Zunahme der Probleme bei der Computerspiel- und Internetnutzung bzw. von Internetbezogenen Störungen macht eine stärkere Fokussierung auf diese Thematik erforderlich. Daher widmen sich zunehmend mehr Forschungsarbeiten dem Thema. Außerdem wurde bereits 2013 die Internet Gaming Disorder in das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM-5) der American Psychiatric Association als klinisches Erscheinungsbild mit weiterem Forschungsbedarf aufgenommen, wobei sich diese lediglich auf das Online-Spielen bezieht und andere Formen der Internetbezogenen Störung bisher noch ausschließt.
Auch die elfte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD 11), die von der 72. Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly, WHA) am 25. Mai 2019 verabschiedet wurde, katalogisiert Video- oder Onlinespielsucht künftig als international anerkannte Gesundheitsstörung. Sie tritt zum 1. Januar 2022 in Kraft. Video- und Onlinespielsucht beginnt für die WHO, wenn ein Mensch über mehr als zwölf Monate alle anderen Aspekte des Lebens dem Spielen unterordnet, was u. a. dazu führt, dass er seine Freunde verliert oder seine Körperhygiene vernachlässigt.
Anliegen der Prävention von Internetbezogenen Störungen ist es, insbesondere junge Menschen im verantwortlichen Umgang mit dem Internet zu stärken, so dass eine schädli-che oder missbräuchliche Nutzung von Beginn an vermieden werden kann. Ziele im Ein-zelnen sind:
- die Aufklärung und Sensibilisierung der Zielgruppen hinsichtlich der negativen Folgen exzessiver Computerspiel-, Internet- und Smartphonenutzung
- die Förderung einer kritischen Reflexion und Einstellung in Bezug auf die eigene Computerspiel-, Internet- und Smartphonenutzung
- die Förderung der Medienkompetenz mit dem Ziel eines unschädlichen und maßvollen Umgangs mit Internet, Computer und Smartphone
- die Information über Hilfsangebote im Bereich „Internetbezogene Störungen“.